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eine Kurzgeschichte von
Wolfgang Falk



Münze im Etui für nur dreineunundneunzig, ein Stoffbär dazu, sechsneunundachtzig, und Schuhcreme im Sonderangebot. Die Gänge sauber und ordentlich; immer an der Schmutzkante orientieren und schnell sein. Palette raus, Messer nicht vergessen und immer freundlich zu den Kunden sein. Alltäglich der gleiche Trott, immer im Akkord, immer kriechen in die richtige Richtung und wer als letztes kommt, darf auch als erstes wieder gehen. Ohne Widerspruch und immer in die richtige Richtung. Keine Rügen, keine Folie und keine Ordnung im Retourenregal. Morgens kein Sonnenaufgang, Anlieferer in ständiger Eile, Konserven verteilt im Markt und Zigarettenduft in der Luft. Dieser Morgen war nicht anders, nur unwesentlich, zumindest scheinbar. Auch wenn Roland und Belma übereinstimmen, die Lieferanten zufrieden abziehen und sich der Stress legt um sechs Uhr, so ist es doch das Gleiche wie immer, scheinbar. Die leicht gelblichen Fliesen im Kundenbereich im krassen Kontrast zum dreckig grauen Fußboden der Lagerzone, ein kräftiges Dunkel mitten im seichten Hell und verborgen bleibt, was nicht erscheinen soll. Fragen sind irrelevant, Aufgaben klar zugeteilt. Und Michaela trinkt Kaffee.
Doch die Milch ist sauer, die Eier gefroren und das Gemüse vergammelt. Der englische Artikel im Eckregal ist unerwünscht und Ursula verräumt die Weihnachtsdekoration, Weihnachten ist schließlich vorbei und auch die letzten Kerzen in den deutschen Wohnzimmern erloschen. Ursula ärgert sich, sie ärgert sich über die vielen Überstunden, ist verärgert, weil ihre Chefin sie zum Schließdienst um Dreiundzwanziguhr bestellt, und Kaffee trinkt. Hinter verschlossenen Türen wird entschieden über Leben und Tot, Köpfe müssen rollen, ein Gesetz der freien Marktwirtschaft muss beachtet werden und der Fußboden bleibt dreckig grau. Doch was ist mit den Gurken? Ausverkauft! So geht das nicht weiter. Belma weiß nicht hin, weiß nicht her, entscheidet nicht selbst, wird entschieden. Vollendete Tatsachen am Abgrund der Tür, ein Balanceakt auf dem Rand der Kaffeetasse. Rutschig und schmierig, Makeupreste und zart-rosa Lippenstift. Dezenter Schein roten Laserlichts, ein Gerät geführt von sicherer Hand. Und auch die Blicke sind sicher, sicher verborgen unter tiefschwarzer Kontaktlinse und die Müllpresse ist voll. Amt kommt, Rolltor zu, Schlüssel in Ursulas Tasche und ich dazwischen, unwissend und desorientiert. Und Michaela trinkt Kaffee. Kaffee beruhigt, Kaffee arbeitet und hält wach, weil die Absperrung an der Bettkante nicht zu überwinden ist. Die Fugen sind verlogen, doch die Muster sind ehrlich. Ich kann die Fugen nicht vom Muster unterscheiden und es drängt sich mir die Frage auf, wer die Fugen reinigt und das Muster entwirft. Roland geht. Herr Meier kommt. Herr Knecht auch. Das Messer wird mit der Zeit stumpf. Und stumpf sind auch die Menschen. Interesse wird zum Wort der Wünsche und der geheimen Verabredung.
Im Keller steht das Wasser und Scherben werden herausgefischt. Martina ist Schuld. Die Fleischtheke wird renoviert, zusammen mit dem Keller. Doch der graue Fußboden bleibt. Und Martina versteckt sich hinter dem Vorhang. Der Kaffe ist ausgetrunken, das Licht erloschen, die Alarmanlage aktiviert und Herr Gromowski hat den Schließdienst erledigt. Martinas Vorhang bewegt sich. Sie wurde vergessen, genau wie die Salatbestellung und die Eier im Kühlhaus werden Montag unbrauchbar sein. Belma geht schlafen und Michaela tanzen, zusammen mit ihrem Mann. In der Dunkelheit ist der Unterschied zwischen den Fugen und den Fliesen unerkennbar, nur ein Blinken in der linken Ecke über der Tür ist zu erkennen, ein rotes Blinken, die Alarmanlage tut ihren Dienst. Stiller Alarm lautet das Schlagwort. Auf frischer Tat ertappen wollen sie die Diebe der Nacht. Martina wird unwohl. Wo ist bloß der Lichtschalter? Und Herr Knecht sitzt in der Kulisse, er hat schließlich seinen wohl verdienten Feierabend und denkt nicht mehr nach über richtig und falsch, denn auch er ist geldgeil wie all die anderen. Martina stolpert. Sie hat die Treppe übersehen, aber hätte sie sie wohl bemerkt, wäre es hell gewesen? Sie weiß es nicht und sie will es auch nicht wissen, wie gesagt, Interesse ist ein Wort der Wünsche und der geheimen Verabredung. Also begibt sie sich weiter auf die Suche nach dem Lichtschalter. Herr Knecht hat sein Bier in der Kulisse brav ausgetrunken und nun erkennt auch er nicht mehr seinen Weg. Zu sehr beeindruckt ist er von Kulissen. Sie beschützten ihn vor der Wahrheit und geben ihm Sicherheit auf seinem strebsamen Weg zum stolzen Ferrarifahrer und Weißweintrinker. Unterstützung benötigt man auch, allein ist man schließlich verloren; und wird man auch nur von reiner Imagination gestützt, so kann sie diese Aufgabe doch als die ihre erkennen und sie maßvoll erfüllen. Martina bekommt Angst. Doch sie ist damit allein und weiß nicht, wem sie sich mitteilen könnte. Herr Knecht tanzt zusammen mit Herr Gromowski, Michaela, Belma, Herr Meier und all den anderen zwischen den Kulissen. Dort verstecken sie sich , so wie Martina in dem dunklen Markt. Doch allein ist nicht nur Martina, auch wenn die anderen zusammen sind. Denn die Dame an der Info untersteht den Damen in den Büros, der nette Mann an der Kasse untersteht der hässlichen Dicken hinter der Scheibe, Herr Meier sieht zu, wie Belma geht und Allmang kommt. Und die Gesetze der freien Marktwirtschaft gelten wie vor den Gesetzen der eigentlichen Priorität. Welche das auch immer sein mag. Doch Martina wartet noch immer auf Hilfe. Wie in einen engem Aufzugschacht fühlt sie sich eingezwängt. Und ich muss zusehen, weil ich mich als Autor nicht in das Geschehen einmischen darf. Ich bin verdammt, zu akzeptieren, dass die Menschen auf sich allein gestellt sind und ich sie nicht ändern kann. So kommt es, dass auch ich kriechen muss. Nicht die jämmerliche Aushilfe ist die arme Sau, sie ist fügig. Die arme Sau sitzt in der Villa auf dem Hügel, passiert das Mittelalter, genießt und schweigt, wie man so schön sagt. Interessen sind eben geheime Wunschträume und Verabredungen. Leider hatte aber Martina nie eine Verabredung gehabt . Das grüne Gesöff in ihrer Nähe ließ sie nicht allein und zu Hause wartete ihr Videorekorder auf sie. Michaelas Kaffee läuft auch weiterhin ungestört durch die Maschine. Und Herr Knecht wird auch nicht ewig sein, Herr Meier ist in naher Zukunft Frischfleisch in Sachen Einzelhandelskaufmann und der Schlüssel ist auch wieder beim Rolltor. Aber Martina wird auch inmitten aller Hektik und der Erleuchtung nicht den Weg nach draußen finden. Denn der Designer der Fliesen bleibt anonym, der Leger unsichtbar, denn auch er kann sich gut hinter seinem Kleber verstecken. Und dann stellt sich mir eine zweite und letzte Frage: Aus welchem Grund müssen Gänge sauber, Schmutzkanten eingehalten und Kokosraspeln aufgefüllt werden? Ich glaube, wegen der Kühe???